Die 10 wichtigsten Fragen und Antworten zur Charakterentwicklung deiner Romanfigur

Sie wachsen mit ihren Aufgaben und sind das Salz deiner Geschichte. Deine Romanfigur entscheidet sogar darüber, wohin sich dein Roman entwickeln wird: Wählst du einen anderen Charakter, verändert sich dein ganzes Buch. Doch wie entwickelst du einen stimmigen Charakter? Wie erschaffst du Figuren, mit denen sich deine Leserschaft identifizieren kann?

Tina Lauer

14. Februar 2022

Ich habe eine schlechte und eine gute Nachricht für dich. 

Die schlechte zuerst: 

Falls du glaubst, es gäbe ein Patentrezept zur Entwicklung der perfekten Romanfigur, dann muss ich dich enttäuschen.

Jede*r erfolgreiche Schriftsteller*in verwendet andere Methoden, um ihre Charaktere zu kreieren. Manche gehen sehr akribisch und methodisch vor, andere, wie z.B. Stephen King, lassen sich von ihrer Romanfigur überraschen und schauen, wie sie sich entwickeln. 

Bei mir ist es von Roman zu Roman unterschiedlich. Mal lasse ich mich wie Stephen King von meiner Figur treiben, mal habe ich bereits im Vorfeld eine ziemlich genaue Vorstellung von meiner Figur und weiß, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten wird. 

Jetzt die gute Nachricht:

Ich kann dir kein Patentrezept servieren, aber es gibt dennoch ein paar Tipps, die dir beim Entwickeln deiner Charaktere helfen werden. 

Hier sind die 10 wichtigsten Fragen und Antworten zur Charakterentwicklung:

1. Was kann ich von Charakteren in Büchern lernen?

Ich lernte Tante Lydia als den menschenverachtenden Drachen von Gilead kennen. In der gleichermaßen düsteren wie faszinierenden Dystopie Der Report der Magd“* von Margaret Atwoods drangsaliert, foltert und tötet sie zahlreiche unschuldige Frauen. 

Doch im großartigen letzten Band „Die Zeuginnen“* lässt Margaret Atwood Tante Lydia zu Wort kommen. Ein großer Teil des Romans fußt auf ihren Memoiren. Als Leserin erfahre ich von ihr selbst, wie sie zu dem „Monster“ wurde, das ich in den ersten Büchern kennen und hassen gelernt habe. 

Das Spannende daran: Ich verstand auf einmal ein bisschen, wieso sie in der Lage war, so viele grausame Dinge zu tun. 

Ich hoffe zwar nicht, dass ich in einer ähnlichen Situation genauso handeln würde, aber ich konnte Tante Lydia plötzlich besser verstehen und mich in gewisser Weise mit ihren Schwächen identifizieren. 

Das ist es, was gut angelegte Charaktere können: Sie schaffen es, dass wir uns mit ihnen identifizieren und schulen unser Einfühlungsvermögen. Charaktere, die nicht nur heldenhaften Mut beweisen, sondern auch Schwächen haben, sind die Würze jedes guten Romans. 

Romane schärfen unseren Verstand, aktivieren unsere Fantasie und machen uns empathischer. Die Forscher Kidd und Castano der New School for Social Research fanden 2013 heraus, dass Menschen, die Romane lesen besser in der Lage sind, sich in ihre Mitmenschen hineinzuversetzen, als diejenigen, die nur Sachbücher konsumieren. Und zwar unabhängig von Alter, Bildung oder Geschlecht.

Doch das funktioniert nur, wenn unsere Romanfiguren spannend sind, zum Nachdenken anregen, uns inspirieren, irritieren und manchmal sogar anwidern.

2. Worauf muss ich bei der Charakterentwicklung achten?

Bevor es an die eigentliche Charakterentwicklung geht, solltest du ein paar Grundzutaten bereitstellen. Schau dich dafür am besten mal in deinem eigenen Leben um.

Denn wir schreiben am besten über Dinge, die wir kennen. Dann sind unsere Schauplätze glaubhaft, werden unsere Figuren lebendig, sind ihre Berufe und Eigenarten authentisch. 

Meine Biografie hinterlässt stets kleine Stempel in meinen Romanen: Meine Hauptprotagonistin reist und lebt in meinen Ländern, in denen ich viel Zeit verbracht habe, sowie in deutschen Städten, in denen ich länger gelebt habe. 

Du suchst nach einem Schauplatz für deinen Roman? Dann schau dich einfach an deinem Wohnort um, statt mühevoll fremde Ort zu recherchieren: 

Wo kennst du dich aus? In welcher Stadt, in welchem Land bist du zuhause? Wo hast du viel Zeit verbracht? Wie leben die Menschen dort, wo du wohnst? Was weißt du über die Kultur dieses Ortes? Welche Straßen, Sehenswürdigkeiten, Parks und Cafés kennst du in- und auswendig?

Wenn du an einem Science-Fiction- oder Fantasyroman schreibst, fragst du dich vermutlich, wie du über etwas schreiben sollst, was du kennst. Aber auch in diesen Fällen kannst du Aspekte einbringen, mit denen du vertraut bist.

Cornelius Zimmermann schreibst in seinem Fantasy-Roman „Rocking the forest“* z.B. über den Wolfmorf Iggy, der im fiktiven Müützelwald in einer Forest-Doom-Band spielt. In dem Roman kommen nicht nur seine Liebe zur Heimat Schwarzwald und zur Rockmusik zum Ausdruck, sondern auch seine persönlichen Erfahrungen als Musiker.

 

 

Womit kennst du dich besonders gut aus? Worüber kannst du schreiben, ohne große Recherchen vorzuschieben? Du bist Lehrer? Prima, dann lass deine Figur unterrichten oder Schüler*in in einer Schule sein. Du bist Schreinerin? Bestens, dann lass den Mörder deines Krimis einen Mord in einer Werkstatt begehen. 

2021 erschien meine Kurzgeschichte „Noch 36 Minuten...“ in der Anthologie „Besondere Zeiten“*. Darin schreibe ich über eine Frau, die sich auf eine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule vorbereitet. Die einzigen Gemeinsamkeiten, die ich mit meiner Protagonistin habe: Wir sind beide Frauen, die Geige spielen. Ansonsten hat die Geschichte nichts mit meinem Leben zu tun. Doch dadurch war es mir spielerisch möglich, der Figur mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. 

Oder, um es mit Stephen Kings Worten zu sagen: 

 

 

...wenn Sie diesen Beruf länger ausüben, werden Sie schnell merken, daß ein Teil von Ihnen in jeder geschaffenen Figur steckt.
(Stephen King, „Das Leben und das Schreiben“ 2002, S. 212)

 

 

Ich schreibe deshalb immer aus weiblicher Perspektive. Denn gender-neutralität hin oder her: Ich bin eine Frau und weiß nur, wie man sich als Frau fühlt.

Leider lese ich immer wieder Romane, in denen Autor*innen ihre Perspektive wechseln. Sofern sie nicht trans-gender sind, wird es aber schwierig, glaubhaft diese andere Rolle wiederzugeben. Manchen Autor*innen gelingt das dennoch.

Doch in vielen Romanen wirken die Protagonist*innen aus diesem Grund nicht authentisch. Diese Meinung musst du nicht teilen und du darfst dich trotzdem dafür entscheiden, deiner Hauptfigur ein anderes Geschlecht zu geben. Ich rate dir dann aber dazu, dein Manuskript von mehreren Menschen, die dieses Geschlecht nachvollziehen können, Probelesen zu lassen.

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3. Was ist eine Charakterentwicklung? 

Also, nun hast du ein Setting und bereits ein paar Hobbies und einen Beruf für deine Figur gefunden. 

Doch das reicht für eine Charakterentwicklung noch nicht aus. Das sind nur die Grundzutaten eines guten Romans. 

Damit er Würze bekommt und deine Leserschaft dein Buch am Ende gar nicht mehr aus der Hand legen kann, braucht deine Figur eine wichtige Zutat: Charakter! Wir wollen uns schließlich mit der Figur in einem Roman identifizieren. 

Damit das gelingt, braucht sie nicht genau dieselben Eigenschaften wie du zu haben.

Im Gegenteil: Manchmal faszinieren uns „Monster“ wie Tante Lydia, auch wenn wir einzig ihre Vergangenheit mit ihr teilen. Doch wenn ich mich in die Geschichte oder die Probleme einer Figur hineinversetzen kann, identifiziere ich mich zu einem gewissen Teil mit ihr. Dadurch wird die Figur lebendig und ich fiebere mit ihren Höhen und Tiefen mit. 

​Jetzt aber Butter bei die Fische, wie geht das?

4. Wie entwickle ich lebendige Charaktere? 

Indem du die Menschen in deinem Leben beobachtest.

Bei der Charakterentwicklung verhält es sich wie mit dem wichtigsten Schreibtipp: Um gut zu schreiben, musst du viel lesen und viel schreiben.

Um wunderbare Charaktere zu entwickeln, musst du deine Mitmenschen beobachten und ihre Eigenarten aufschreiben. Dadurch bekommt deine Figur nach und nach Tiefe und fesselt deine Leserschaft. 

Werde zur Detektivin/zum Detektiv: Schau dir an, wie deine Nachbarin auf dem Balkon ihren Kaffee trinkt. Popelt deine Freundin immer in der Nase, wenn sie sich unbeobachtet fühlt? Zittern die Hände deines Nachbarn, wenn er nervös ist? Sei dabei unauffällig und kopiere bitte niemanden exakt in deinen Büchern, sonst hast du vielleicht schneller eine Klage am Hals, als du das Wort „Verlagsvorschuss“ aussprechen kannst. 

Doch lass dich von deinem Umfeld inspirieren. 

 

5. Wie mache ich meine Romanfigur unverwechselbar? 

Indem du ihr ein individuelles Merkmal gibst. 

Das kann ein körperliches Merkmal sein, ein Laster, ein Tick oder eine merkwürdige Angewohnheit. Gib deiner Figur etwas, was sie unverkennbar und einzigartig macht. 

Jeder Mensch ist anders und das ist wunderbar. Und jeder Mensch besitzt Merkmale, die sonst bei keinem anderen Menschen zu finden sind. Das kann ein Muttermal an einer bestimmten Stelle sein oder eine liebenswerte Eigenschaft.

Eine meiner Protagonistinnen hatte beispielsweise die Angewohnheit, Bläschenfolien knacken zu lassen, wenn sie nervös war. 

Was macht deine Figur besonders?

6. Wie entwickle ich das Aussehen meiner Figur?

Entweder ganz am Anfang oder gar nicht. 

Auch hier gilt: Je weniger stereotyp desto besser. Es sei denn, es geht dir genau darum. Wenn du deine Figur äußerlich beschreiben willst, solltest du das ziemlich am Anfang der Geschichte tun.

Denn wenn du ihren Charakter und ihre Handlung im Laufe der Geschichte beschreibst, entwickelt deine Leserschaft ihre eigene Vorstellung von den Äußerlichkeiten deiner Figur. Wenn du dann auf Seite 258 plötzlich die langen blonden Haare oder die schmächtige Körperform deines Charakters beschreibst, deine Leserin aber bereits die Vorstellung hatte, dass deine Figur kurze schwarze Haare und breite Hüften hat, zerstörst du damit deine Figur!

Schlimmstenfalls legt deine Leserin das Buch dann beiseite, weil sich ihre Vorstellung von dem Charakter nicht mit deiner Beschreibung deckt – egal, wie spannend deine Geschichte ist.

 

7. Wie entwickele ich ein Gespür für meine Romanfigur?

Indem du einen Tag in ihren Schuhen wandelst. 

Wenn du dir bisher nur ein paar Rahmenmerkmale deiner Figur entwickelt hast, aber noch keine Vorstellung, wie sie in einer bestimmten Situation reagieren wird, dann zieh dir ihre Schuhe an.

Versuche dich einmal einen Tag oder zumindest eine Stunde wirklich in sie hineinzuversetzen. Ziehe dich so an, wie du dir die Person vorstellst oder du sie gerne hättest. Versuche, dich so wie sie zu bewegen, wie sie. Tue Dinge, die die Person im Alltag tun würde, versuche mal wie sie zu sprechen oder trete in einen fiktiven Dialog mit ihr. Du wirst sehen, du bekommst eine genauere Vorstellung von deiner Hauptfigur. 

8. Darf sich meine Romanfigur verändern?

Das sollte sie sogar! Eine Romanfigur, die sich im Laufe der Geschichte nicht entwickelt, bleibt flach. Wenn du dich von deiner Romanfigur leiten lässt, wird sie sich automatisch entwickeln, denn jede neue Erfahrung verändert einen Menschen und genau so sollte es auch mit deinem Roman-Charakter sein. 

Schau dir die Vergangenheit deiner Figur an: Wo ist sie aufgewachsen? Was hat sie erlebt? Wie haben ihre Eltern sie behandelt, wie war ihre Schulzeit, was fand sie spannend als sie jünger war? Wenn du weißt, woher sie kommt und was sie geprägt hat, weißt du auch, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten wird. Du kennst ihr Selbstbild. 

Spannend wird dein Roman dann, wenn du ihr Bild über sie selbst bewusst zerstörst. 

Was geschieht z.B., wenn eine Frauenrechtlerin plötzlich in einer patriarchalen Welt gefangen gehalten und vor die Wahl gestellt wird: Selbst sterben oder andere Frauen demütigen und töten? Was wird sie tun? In ihrer demokratischen Vergangenheit hätte sie auf diese Frage vermutlich geantwortet: „Lieber sterbe ich selbst als andere zu töten!“ Doch was, wenn ihr Überlebenswille stärker ist als ihre Moral und ihre Überzeugungen? Was, wenn sie sich selbst nicht mehr erkennt?

Spiele mit den Prinzipien deiner Figur. Lass sie Dinge erleben, die ihre Sichtweisen verändern. Lass sie sich selbst überraschen – im Guten wie im Schlechten. 

9. Was sollte ich bei der Entwicklung meiner Charaktere vermeiden?

Stereotypen! 

Bitte schreibe nicht über den Kiffer mit den Dreadlocks, der am liebsten Bob Marley hört, oder über den Yuppie, der mit seinen gegelten Haaren, Markenklamotten und seiner Angeberkarre vor einer blondierten Tussi protzt. 

Ja, es gibt genau diese Menschen. 

Aber stereotype Figuren machen einen Roman vorhersehbar und damit langweilig. Schreibe z.B. lieber über einen Typen mit Dreadlocks, der im 911er Porsche zu seiner aktiendotierten Firma fährt und den Bettler vor der Eingangstür verjagt. 

Merke: Wir wollen von einer Figur überrascht statt gelangweilt werden. 

10. Muss ich mich an Vorgaben halten, wenn ich meinen Charakter entwickele?

NEIN! 

Und das ist das Großartige. Alles was ich hier geschrieben habe, sind nur Vorschläge, Tipps, Empfehlungen.

Doch es ist DEIN Roman und deine Romanfigur. 
Hier darfst du alles tun und lassen, was du willst!

Du allein entscheidest, wie deine Geschichte aussieht. Du allein entscheidest, was deine Charaktere tun, wie sie leben, wie sie aussehen, denken und handeln.

Genieße die Freiheit, die Protagonist*innen in deinem Roman nach deinen Vorstellungen zu formen. Alles ist erlaubt! Das kann Angst machen, aber gleichzeitig ist es eine wunderbare Möglichkeit, deine Fantasien zu leben. Denn niemand kann dir sagen, dass deine Figur unglaubwürdig ist, weil es sie nicht gibt!

Klar, es wird immer Menschen geben, die mit deinen Charakteren nicht einverstanden sind, sie langweilig, überzogen oder klischeebehaftet finden. Aber damit muss man als Autor*in leben. 

Eine der wichtigsten Tipps, die ich dir für das Schreiben mitgeben möchte, ist deshalb: 

Schlimm ist nicht, wenn dein Buch manchen Leser*innen nicht gefällt. Schlimm ist, wenn du versuchst, es allen recht zu machen! 

Trau dich, Gott zu spielen!

Also: Sei mutig, hab Vertrauen und schreibe, was du willst!

 

 

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